Bürgerinitiative Invalidenstraße

Verband rügt vorsätzliches Überschreiten von EU-Grenzwerten

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND Berlin) wird gemeinsam mit Anwohnern gegen den von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geplanten Ausbau der Invalidenstraße klagen. Grund sind die überhöhten Feinstaub- und Stickstoffdioxidwerte, die nach dem Umbau am schmalsten Abschnitt der Invalidenstraße – zwischen dem Nordbahnhof und der Chausseestraße - zu erwarten sind.

Rechtsanwalt Karsten Sommer begründet die Klage:

„Mit Planfeststellungsbeschluss vom 15. Januar 2010 hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den durchgängig vierspurigen Ausbau der Invalidenstraße zwischen Nordbahnhof und Hauptbahnhof zugelassen. Die Gutachter der Senatsverwaltung selbst prognostizieren eine dauerhafte Überschreitung der Grenzwerte für Luftschadstoffe und gesundheitsgefährdende Lärmwerte. Der Planfeststellungsbeschluss schützt die Anwohner nicht ausreichend. Daher haben Mitte April der BUND Berlin und zwei Eigentümer von Häusern an der Invalidenstraße Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss eingereicht, die jetzt nach Einsicht in die Akten der Senatsverwaltung ausführlich begründet wird.

Der BUND sieht das Klageverfahren als Präzedenzfall. Es wird aufgezeigt, dass weiterer Straßenausbau, der zu dauerhaften Überschreitungen von Luftschadstoffgrenzwerten führt, rechtswidrig ist. In der engen Straßenschlucht der Invalidenstraße zwischen Caroline-Michaelis-Straße und Chausseestraße, aber auch weiter westlich bis zur Hessischen Straße, sollen infolge des Straßenausbaus unzählige Passanten, Anwohner, Beschäftigte, Café-Besucher u.a. mit Schadstoffbelastungen leben, die die gesetzlich festgelegte Schwelle zur Gesundheitsgefährdung überschreiten.

„Der Senat muss endlich einsehen, dass man gesetzlich verankerte Grenzwerte nicht beliebig überschreiten kann und dass Planung und Bau neuer Straßen in der Berliner Innenstadt Grenzen in der Wahrung der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger hat. Im beklagten Planfeststellungsbeschluss wird diese verfassungsmäßige Grenze der Planung übersehen. Das hat die Rechtswidrigkeit der Planung zur Folge.

Rechtswidrig ist die Planung

  • weil ihr bereits die Rechtfertigung fehlt; das im Planfeststellungsbeschluss formulierte Planungsziel umwelt- und menschengerechter Straßenplanung wird nicht erreicht;
  • weil bereits die Wahl unter den Planungsalternativen die Gesundheitsgefährdung der Anwohner nicht zum entscheidenden Gesichtspunkt hatte und daher verträglichere Alternativen fehlerhaft verworfen wurden;
  • weil gesetzliche Luftschadstoffgrenzwerte dauerhaft überschritten werden und mögliche Minderungsmaßnahmen im Planfeststellungsbeschluss nicht festgesetzt wurden;
  • weil gesundheitsgefährdende Lärmbelastungen gegenwärtig bereits bestehen und auf Dauer aufrecht erhalten werden und der Planfeststellungsbeschluss mögliche Minderungsmaßnahmen nicht festsetzt
  • weil das der Planung zugrunde liegende Verkehrskonzept nicht funktioniert, da die Verkehrsprognose nicht alle zu erwartenden Verkehrsbelastungen aus den vielen Neuplanungen (um Hauptbahnhof, BND und weitere) in der Gegend mit einbezieht; zu erwarten sind dadurch Staus und in der Folge noch höhere Schadstoffbelastungen“

Carl Loyal, Kläger an der Invalidenstraße:

„Das Problem ist, dass Frau Junge-Reyer den „Inneren Stadtring“ über die Invalidenstraße führen möchte. Der Verkehr soll sich nahe dem Kreuzungsbereich Chausseestraße - in einer nur 19 Meter schmalen Straßenschlucht - von derzeit rund 13.500 auf bis zu rund 35.000 Kfz täglich - mehr als verdoppeln. Doch bereits heute werden die EU-Umweltgrenzwerte überschritten. Auch mit der „Vorrangschaltung“ für die später vier Straßenbahnlinien wird der Verkehrskollaps vorsätzlich geplant. Die Folge dieser Verkehrsbündelung ist ein Abfließen des Verkehrs in die umliegenden Wohnstraßen. Diese Verkehrsführung über die Wohnstraßen plant die Verkehrssenatorin jedoch explizit, um so die Emissions-Belastungen im Bereich Invalidenstraße rechnerisch trickreich zu schönen.

Wir Anwohner sind für den Straßenbahnbau und für den Ausbau der Invalidenstraße für den Individualverkehr – aber stadtverträglich. Das heißt, Umweltgrenzwerte müssen eingehalten werden und zwar ohne Tricksereien, so dass man hier auch weiterhin noch leben und wohnen kann. Acht Jahre Pleiten, Pech und Pannen bei der Planung des Inneren Stadtrings durch Berlins Historische Mitte. Wir Anwohner sagen: JA zum Leben in Mitte - NEIN zum Stadtring“

Einen vom BUND vorgelegten Kompromissvorschlag zur verkehrlichen Entlastung der am stärksten belasteten Bereiche, mit dem die Anwohner leben könnten (Konzept der „Blockumfahrung“- über Zinnowitzer-/ Chausseestraße), lehnte die Senatsverwaltung ohne nähere Begründung ab.

„Grundsätzlich begrüßt der BUND Berlin den Umbau der Invalidenstraße, da so die Straßenbahnstrecke vom Nordbahnhof zum Hauptbahnhof verlängert wird. Damit rückt auch ein künftiger Streckenausbau für die Straßenbahn nach Moabit näher, wofür sich der BUND Berlin seit Jahren einsetzt.

Der Senat hat sich nicht nur gegen unsere Kompromiss vorschläge resistent gezeigt, sondern auch noch mit Tricks versucht, verschiedene Anwohner zugunsten seiner Pläne zu beeinflussen. Als Umweltverband bestehen wir aber auf die Einhaltung der Grenzwerte auf jedem Streckenabschnitt und werden von unserem Klagerecht jetzt Gebrauch machen“, begründete Martin Schlegel, Verkehrsreferent des BUND Berlin, diesen Schritt.

Der Streit um den Ausbau der Invalidenstraße geht bereits ins achte Jahr. Wollte der Senat anfangs noch mehrere Grünflächen beschneiden und Bäume fällen lassen, so änderte er nach starken Protesten später seine Planung zugunsten von vier Platanen und einem Lederhülsenbaum vor dem Naturkundemuseum.

Auf den durchgehend vierspurigen Ausbau wollte er jedoch nicht verzichten. Daraufhin kündigten mehrere Anwohner eine gemeinsame Klage gegen die Pläne an.

Der BUND Berlin hatte sich zunächst zurückgehalten, weil sich aus seiner Sicht bereits genügend potentielle Kläger gegen das Vorhaben engagierten. Um in diesem Präzedenzfall zur Luftqualität die juristisch beste Ausgangsposition zu garantieren, will der BUND nun doch mitklagen.

„Auch wenn der Senat in der Invalidenstaße Tempo 30 verhängt, und Lkws ein Fahrverbot erhalten, werden die EU-Grenzwerte Feinstaub- und Stickoxid- nach der bisherigen Planung überschritten. Ein solches vorsätzliches Ignorieren der Umweltzone können wir nicht tolerieren“, so Verkehrsreferent Martin Schlegel.